Abenteuerreise Schlafen
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Müde mag wohl mancher schon gewesen sein, am Beginn des 10. Schmalclubs im Bockenheimer Depot, der um Mitternacht begann, von Angespanntheit keine Spur. Auffallend war, daß im Vergleich zu früheren Schmalclubs, deren Reiz nicht zuletzt in einem gut gemischten Publikum bestand, überwiegend jüngere Leute sich zu dieser Abenteuerreise des Schlafens im Theater aufgemacht hatten. Zielstrebig holten sie die vorbereiteten Schlafbeutel mit Kissen, Decke und Zahnbürste und gingen daran, aus den unzähligen Matratzen und Kissenwürfeln Höhlen, Kuschelecken oder Liegewiesen zu bauen. Die eine Hälfte des Raums sah bald wie eine Mischung aus Schlafsaal, Sandburgenstrand und Woodstock aus.

An anderen Orten konnte man tanzen, an die Bar gehen, Horrorfilme ansehen, in einer kleinen Treppenbibliothek Nachtlektüre ausleihen, Kinderkassetten hören, Bettflaschen zum Umbinden holen, die in liebevoll gestickten Hüllen steckten, oder an einem Tisch die gängigen, mit einfachsten wie witzigen Mitteln nachgebauten Gesellschaftsspiele spielen. Schmalclubs sind immer Gesellschaftsspiele mit einfachen Mitteln, diesmal auch eine Zeitreise zu den Einschlafritualen, eine Art Klassenfahrt in den eigenen Alltag und die kollektive Biographie. Zu jenen Ritualen gehört das Vorlesen. Ein Schauspieler des TAT las später sehr lange inmitten der körperlichen Nähe des vollen Matratzenlagers aus "Tausendundeiner Nacht". Dazu konnte man mit den Augen den traumhaften Formen eines Schattenspiels folgen.

Vorher waren die meisten neugierig und gingen mit auf die "Nachtexpedition". Sie führte einen, ausgerüstet mit Taschenlampen, ins benachbarte stockfinstere Senckenbergmuseum. In der Nacht sind eben nicht alle Tiere grau, sondern viel realistischer, was der Museumsführer mit seiner Taschenlampe einleuchtend an den Gefiederfarben der Vögel demonstrierte. Als er bei dem Löwenpaar die Leistung der Präparatoren mit der eines van Gogh verglich, meinte jemand, die Löwin habe aber doch zwei Ohren. Es war also eine interessante Nacht, vielleicht mit etwas weniger Schlaf; für das Frühstück war selbstverständlich gesorgt.

Es ist gar keine schlechte Idee, der spielerische Versuch, von der schmalen, alltäglichen Seite her die soziale Dimension des Theaters wiederzubeleben. Wir sollten öfters mal woanders schlafen: im Museum, in der Schule, im Römer.

Hubert Beck
Frankfurter Allgemeine Zeitung
05.04.01