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Was
man im Alltag braucht
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Wollten
Sie immer schon einmal an einer Tupperware-Party teilnehmen oder
von einer Kosmetikberaterin über die neuesten Produkte informiert
werden, haben sich aber noch nie so richtig getraut? Jetzt erhalten
Sie endlich die Möglichkeit dazu. "Pronova", für
das Neue, heißt die 13. Auflage des Schmalclubs, der sich
am 5. Dezember im Bockenheimer Depot dem Thema "Vertreter"
in all seinen Dimensionen annehmen wird. "Normalerweise kann
der Kommerz sich die Kunst leisten. Jetzt bedient sich die Kunst
des Kommerzes", erklärt Steve Valk, Dramaturg am Ballett
Frankfurt, das zusammen mit der Hochschule für Gestaltung in
Offenbach für die Abende verantwortlich zeichnet, die Idee.
"Wir gestalten eine kommerzielle Situation nach anderen Kriterien."
Und die sind diesmal eher Neugierde oder ein gewisser Voyeurismus,
den Menschen beim Präsentieren und Verkaufen ihrer Ideen und
Produkte zuschauen zu können.
Seit
der Schmalclub im Januar 2000 zum ersten Mal seine Pforten öffnete
und das Publikum in William Forsythes großer weißer
Hüpfburg feiern konnte, war das Bockenheimer Depot regelmäßig
Ort für unheimliche Begegnungen. Da war zum Beispiel der Glücks-Schmalclub.
Dabei wurden sämtliche Feste eines Jahres an einem einzigen
Abend nachgefeiert, inklusive der Geburtstage der Gäste, wofür
eine riesige Geburtstagstorte bereitstand. Oder "Schlafen"-Schmalclub
fing um Mitternacht mit einer Party an. Während die Gäste
noch feierten, wurde ein Matratzenlager errichtet, auf dem dann
tatsächlich 80 Gäste - ausgerüstet mit Socken und
Zahnbürste - übernachteten. Oder "Super VHS",
eine Volkshochschule, in der man endlich alles lernen konnte, was
man im Alltag so braucht.
War
es am Anfang eher ein junges Club-Publikum, das sich an den Schmalclub-Abenden
im Bockenheimer Depot einfand, sind es mittlerweile ganze Familien
und ältere Menschen, die sich vom Schmalclub überraschen
lassen. Man weiß eben nie genau, was einen diesmal erwartet.
"Was wir sicher alle nicht wollen, ist ein bestimmtes Rezept
zu finden. Wir machen den Schmalclub, weil wir experimentierfreudig
sind", erzählt Patrick Koch, Bühnenbildner und Student
an der Offenbacher Hochschule, ein Schmalclubber der ersten Stunde.
So gibt es keine langfristigen Pläne oder Verabredungen. Ideen
werden spontan geboren, flottieren in einem Kreis aus ungefähr
50 Personen, Freunden, Bekannten und Studenten, die locker mit der
Organisation des Schmalclubs verbunden sind. Vier bis sechs Leute
zeichnen jedesmal für einen Abend verantwortlich, während
ein anderes Team schon am nächsten Schmalclub arbeitet.
Eigentlich,
so Steve Valk, sei die Idee für den Schmalclub verblüffend
einfach. "Wir gestalten eine neue Realität. Man nimmt
bekannte Dinge und stellt sie anders zusammen. Der Schmalclub spielt
mit dem kreativen Moment von Tagträumen. Wir kreieren eine
Atmosphäre, in der das Alltägliche eine andere Dimension
bekommt." Doch die Situation bleibt immer noch als gestaltete,
herausgehobene erkennbar. Schließlich muß man sich zu
einer bestimmten Zeit im Bockenheimer Depot einfinden und Eintritt
zahlen. Gerade das schafft jedoch einen Rahmen, der es Publikum
und Mitspielern ermöglicht, die Umwelt anders wahrzunehmen.
Wo verlaufen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Kunst, was ist
inszeniert, was passiert einfach so? Liegt der Kunstcharakter weniger
in der Art des Gegenstandes als in der Art und Weise, wie ich ihn
wahrnehme? Wird etwas dann zu Theater, wenn ich einen anderen, fremden
Blick auf ein Geschehen richte?
Mit
dieser Haltung setzt sich der Schmalclub von den Ästhetiken
des TAT und des Ballett Frankfurt ab. Am ehesten vergleichbar ist
er mit William Forsythes Projekten außerhalb des Theaterraums,
wie etwa seiner Stadtrauminstallation "City of Abstracts",
in der der Choreograph Passanten in der Innenstadt durch geschickt
plazierte Kameras und Videobilder zu Tänzern machte. Auch der
Schmalclub, von William Forsythe initiiert, ist eine Intervention
in den Alltag der Frankfurter Bürger. "Die Leute interessieren
sich dafür", glaubt Patrick Koch, "weil wir mit menschlichen
Grundbedürfnissen wie Geborgenheit spielen. Wenn man nur darüber
spricht, läuft es Gefahr, niedlich zu werden. Wir versuchen
es zu übersetzen, so daß es erfahrbar werden kann."
Niemand, versichert Steve Valk, werde gezwungen, mitzumachen. "Man
muß nicht in Aktionismus verfallen, um hingehen zu können."
Wer nur mit seinem Bier an der Bar steht und die Menschen um sich
herum beobachtet, ist ebenso willkommen. Auch das Zuschauen gehört
zu den gesellschaftlichen Aktivitäten, denen man an den Schmalclub-Abenden
hemmungslos frönen kann. (Der 13. Schmalclub "Pronova"
findet am 5. Dezember um 20 Uhr im Bockenheimer Depot statt.)
Gerald
Siegmund
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
02.12.01
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